Matthias Petzold

Vortrag auf der BAG der Kinderschutz-Zentren am 30.11.2001

Verändern die neuen Medien das Sozialverhalten der Kinder?

Gliederung:

1. Familie heute

2. Mediennutzung in der Familie

3. Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen

4. Eigene Ergebnisse zu Persönlichkeitsmerkmalen und Computernutzung

5. Internet-Sucht - eine allgemeine Gefahr?

6. Chancen und Gefahren neue Medien

7. Perspektiven für Präventionsarbeit

Literatur

Abstract:

Nach einem Blick auf die Vielfalt der Lebensformen in der Familie heute werden Daten und Forschungsergebnisse zur Mediennutzung in der Familie berichtet, speziell im Hinblick auf die Computer- und Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen. Eigene Ergebnisse zu Persönlichkeitsmerkmalen und Computernutzung verdeutlichen, dass es keine allgemeine Auswirkung des Mediums auf den Menschen gibt. Die in letzter Zeit häufig beschworene allgemeine Gefahr einer "Internet-Sucht" wird - auch mit Hinweise auf neueste Untersuchungen widerlegt. Schließlich werden zusammenfassend Chancen und Gefahren der  Medien abgewogen und einige Aspekte der Perspektiven der Prävention aufgezeigt.

Adresse des Autors:

Prof. Dr. Matthias Petzold
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Erziehungswissenschaftliches Institut
Universitätsstr. 1
40225 Düsseldorf
http://www.m-pe.de



 

1. Familie heute

Wenn man über die Auswirkungen der Medien auf Kinder und Jugendliche spricht, dann muss man nicht nur über die Medien sprechen, sondern auch über die Familie selbst. Die Struktur der Familie hat sich in ihrer Entwicklung während der letzten beiden Jahrhunderte mehrfach gewandelt, hat sich aber insbesondere in den letzten Jahren sehr geändert. Während bis in die 60er-Jahre das Modell vorherrschte, dass sich die Mutter als Hausfrau um die Kinder kümmerte und die Väter die "Brötchen verdienten", hat sich dies in den letzten Jahren geändert. Nicht nur Väter sind berufstätig, sondern auch immer mehr Mütter, wenn auch meist nur teilzeit. Hinzu kommt, dass besonders bedingt durch die wachsende Scheidungsrate, mehr und mehr Kinder bei Alleinerziehenden aufwachsen. Insgesamt geht aber die Zahl der Kinder stetig zurück. Gleichzeitig wächst die Zahl der älteren Menschen. Während im Jahre 1900 in Deutschland 35% der Bevölkerung aus Kindern bestand werden im Jahr 2020 nur 13% Kinder sein, d.h. der relative Anteil der Kinder an der Gesamtbevölkerung schrumpft von einem Drittel auf fast ein Achtel (vgl. Boh et al., 1989). Aus dieser Entwicklung ergeben sich wichtige Kennzeichen der heutigen Familie. Insgesamt werden die Familien kleiner (vgl. Statistisches Bundesamt 1995, und neuere Daten aus dem Internet). Die Einkind-Familie dominiert mit 51%.  Familien mit zwei Kindern machen nur etwas mehr als ein Drittel aus (37%). Nur 9% der Familien haben 3 Kinder, und nur 3% Familien leben mit vier und mehr Kindern.

Das Leben mit Kindern ist in manchen Innenstadtbezirken der Metropolen (z.B. München) heute schon zur Ausnahme geworden. So wohnen z.B. in vielen teuren Wohnlagen der Innen-städte in einem Acht-Parteien-Mietshaus nur in einer Wohnung Familien mit Kindern. Gerade in diesen Wohnlagen dominiert die Form des Ein- oder Zweipersonenhaushalts. Aber auch insgesamt zeigen die neueren Daten des Mikrozensus  (Daten des Statistischen Bundesamtes im Internet 2001), dass das Leben als Singe die heute häufigste Lebensform in Deutschland ist. Von den insgesamt 35,7 Millionen Haushalten sind 33,6 Prozent Einpersonenhaushalte ohne Kinder, hinzu kommen 5,3% Alleinerziehende mit Kindern. Dagegen sind es weniger als ein Drittel (31,9%) der Haushalte, in denen Elternpaare mit Kindern  zusammen leben (vgl. Petzold 1999).

Die Vielfalt dieser Lebensformen zwingt uns zu einem Umdenken (vgl. Petzold 1999). Aus psychologischer Sicht braucht man ein neues Verständnis von Familie. Die alte Definition der Familie als "Vater, Mutter  & Kind" muss ersetzt werden durch eine neue Definition, die die intime Beziehung und die generationen-übergreifende Struktur betont. Die rechtliche Definition der Familie über die Eheschließung ist heute faktisch überholt.

2. Mediennutzung in der Familie

Familien sind heute auch nicht mehr vorstellbar ohne die Medien (vgl. Petzold 2000). Sie sind der zentrale Ort der Medien. Das beginnt mit der obligatorischen Zeitung beim Frühstück. Der Fernseher ist groß geworden als Familienmittelpunkt, verliert diese Position aber nach und nach. Das Telefon ist die entscheidende Kommunikationsschnittstelle (heute oft ergänzt durch das Handy). Viele Kinder nehmen erst über Telefon mit anderen Kindern Kontakt auf, bevor sie sich mit ihnen zum Spielen treffen. Gerade der SMS-Service spielt dabei eine große Rolle (vgl. Höflich 2001). Auch zur Entspannung  wird auf Medien zurückgegriffen (Musik, Zeitschriften, Computerspiel). Und schließlich ist Bildung und Weiterbildung immer wichtiger geworden und ohne Medien (Bücher, Fernsehen, Internet) nicht mehr denkbar.

Diese uns heute so vertraute Medienwelt ist aber in mancher Hinsicht noch gar nicht so alt (vgl. Hasebrook, 1995 ), wie die folgende Aufstellung zeigt. Die Hälfte der hier ausgewählten für uns heute wichtigen Medien wurde erst in den letzten 50 Jahren erfunden, die andere Hälfte in den fünf Jahrhunderten davor!

Neue Medien von Gutenberg zu Multimedia:
1450 Buchdruck    
1609 Zeitung
1682 Zeitschrift
1829 Fotografie
1875 Telefon
1895 Film
1920 Rundfunk    
1950 Tonbandgerät
1954 Fernsehen
1969 Internet-Gründung
1971 Sat-TV
1981 Personal Computer
1983 CD-Player
1989 WWW-Internet
1990 Mobilfunk
2000 Highspeed-DSL

Als wichtigste traditionelle Medien werden heute in der Familie benutzt: Bücher, Zeitschriften/Magazine, Zeitungen, Briefe, Audio-Medien (CD, Kassette), Telefon, Radio und mit weitaus größter Bedeutung das Fernsehen.

In den letzten Jahren sind nun zahlreiche neue Medien in der Familie dazu gekommen (vgl. Petzold 2000, und neuere Daten des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest im Internet). Während die Anschaffung von PCs erst in den letzten Jahren so rasant zunahm, haben viele Familien - besonders in der Unterschicht - schon länger Video-Konsolen, die besonders von Jugendlichen für Spiele benutzt werden. Neue Möglichkeiten für interaktive Dienste verspricht das Digital-TV und das Abonnement-Fernsehen Premiere mit den extra Pay-per-view Video-Diensten. Beides wird aber nur wenig in Familien angenommen.

Die Vorherrschaft der Medien erzeugt häufig ein Bild in der Öffentlichkeit, dass ohne Medien nichts mehr laufe. Gerade in Bezug auf die Kinder wird dann oft die große Befürchtung laut, dass Kinder heute im "Mediensumpf" ersticken. Diese Entwicklung ist jedoch nicht eingetreten, da auch Kinder ihre eigenen Interessen und Wünsche haben. Wie neueste Daten des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest (2001) zeigen, dominiert in der Rangskala der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen von Kindern (6-13 Jahre) immer noch "Freunde treffen" (40%). Allerdings kommt schon an zweiter Stelle das Fernsehen (35%). An dritter, vierter, fünfter und sechster Stelle kommen dann aber verschiedene Formen aktiven Spielens (Spielen 35%; draußen spielen 33%; Sport 18%; drinnen spielen 17%). Erst auf dem siebten Rangplatz  kommt bei Kindern der Computer mit 16%. Als weitere werden auch genannt: mit Tier beschäftigen (13%), Musik (Kassette, CD) (13 %), Malen, Zeichnen, Basteln (10%), während alles andere unter 10% liegt (z.B. Buch lesen).

Bei Jugendlichen im Alter von 12-19 Jahre nimmt im Vergleich zu Kindern die Bedeutung des Fernsehens ab, und die Rolle des Computers im Alltag wächst. Eine genaue Analyse der Mediennutzung von Jugendliche heute zeigt: Fast alle nutzen täglich das Fernsehen und Musikmedien (CD, Kassette) und sehr viele (85%) das Radio. Zeitungen (59%) und Zeitschriften (49%) werden noch knapp häufiger als der Computer (48%) genutzt. Bücher, Videos und Comics werden von  Jugendlichen aber im allgemeinen nur wenig genutzt.

Das Fernsehen nimmt aber nach wie vor als "Leitmedium der Jugend" den größten Raum ein. 53 Prozent der Jugendlichen im Alter von 12-19 Jahren reden mehrmals pro Woche mit ihren Freunden über das Fernsehen, 44 Prozent über das Handy. Zeitschriften, Zeitungen, Computerspiele oder das Internet bieten jedem Dritten Gesprächsstoff. Über das Radio tauschen sich 21 Prozent der Jugendlichen aus, über Bücher nur noch 11 Prozent.
 
Wenn es allerdings darum geht, Langeweile zu vertreiben, liegt bei den Jungen erstmals der Computer vor dem Fernseher. Offenbar helfen gegen Langeweile aus Sicht der Jungen eher Computerspiele und Internet-Surfen als Fernsehkonsum. Allgemein ist die beliebteste Tätigkeit am Computer das Spielen. Es liegt vor dem Texte schreiben, dem Arbeiten für die Schule, dem Internet und dem Musik hören. Doch auch hier gibt es Unterschiede zwischen den Ge-schlechtern: Jungen spielen viel lieber am PC und hören mit ihm Musik. Mädchen hingegen nutzen den Computer lieber für Texte und Schularbeiten.

Die unterschiedlichen Einstellungen von Jugendlichen kann man nach drei Typen von Computernutzern unterscheiden:
1)   PC-Pragmatiker (42 Prozent), die eine positive Einstellung zum Computer haben, ohne dabei euphorisch oder unkritisch zu sein. In dieser Gruppe sind Jungen und Mädchen gleichermaßen vertreten, Hauptschüler etwas mehr als Gymnasiasten.
2)   PC-Fans (29 Prozent), für die der Computer eine geliebte Freizeitbeschäftigung darstellt. In dieser Gruppe stellen Jungen zwei Drittel.
3)   PC-Verweigerer, die Lesen und Fernsehen gegenüber dem Computer bevorzugen. In dieser Gruppe sind zwei Drittel Mädchen. Zudem gehören eher die älteren Jugendlichen dieser Gruppe an.

Obwohl viele Familien den Computer für ihre Kinder anschaffen, damit sie ihn zur Bildung nutzen, wird der PC faktisch vor allem zum Spielen benutzt. Computerspiele sind für Kinder - noch mehr als für Jugendliche - besonders attraktiv. Fast 50% der Kinder gaben in einer von mir durchgeführten Untersuchung (vgl. Petzold 2000) an, dass sie Computerspiele mögen, wenn sie lustig, witzig, spaßig sind. Über 40% der Kinder mögen Computerspiele, weil sie ihre Geschicklichkeit entfalten können. Bei den Mädchen überwiegt das Interesse am Nachdenken und Tüfteln (Puzzle), bei den Jungen das Interesse an Kämpfen und Gewinnen. Für viele Kinder sind Computerspiele die geeignete Wahl für Ablenkung und Zeitvertreib, viele versprechend sich Spannung, Aufregung und Aktion. Nur ca. 6% interessieren sich für Computerspiele wegen der in manchen Spielen vorherrschenden Gewalt. Insgesamt konnten wir vier Hauptmotive von Kindern für Computerspiele herausfinden:
1. Faszination von Gewalt und brutalen Darstellungen,
2. Lustiges, Witziges, Spaß erleben und mit Geschicklichkeit Spannung, Aufregung und Aktion meistern,
3. Spiele nutzen zur Ablenkung und Zeitvertreib, wobei Kampf und Wettstreit abgelehnt werden,
4. Interesse an Tüftelei und über Strategien nachdenken bzw. Abenteuer-, Simulations- oder Rollenspiele erfolgreich durchspielen.

3. Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen

Computer- und Internetnutzung gehört inzwischen zum Alltag der meisten deutschen Jugendlichen. In den repräsentativen Studien "Jugend, Information (Multi-)Media 2000" und "Kinder und Medien 2000" des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest (2000, 2001, 2001a) wurden bundesweit 1200 Jugendliche im Alter zwischen zwölf und 19 Jahren befragt. Die Hälfte dieser Jugendlichen Jahren hat ein eigenes Handy, viele benutzen auch das Handy der Eltern. In 69% der Familien ist mindestens ein Personal Computer  verfügbar, häufig haben bereits Kinder nicht nur einen eigenen Fernseher, sondern auch einen eigenen PC im Kinderzimmer. Aber nicht alle PCs sind ans Internet angeschlossen, sondern nur in ca. einem Viertel der Familien steht ein Internet-fähiger PC. Von den verschiedenen Möglichkeiten des Internet wird dort am meisten (in 20% der Familien) e-mail benutzt.

Jugendliche sind an den neuen Medien so stark interessiert, weil sie neue Kommunikationsmöglichkeiten (e-mail und Chat) schaffen und ein bisher unerreichbares Informationsspektrum anbieten. Auf die Frage, bei welchen Themenbereichen es besonders wichtig ist über neueste Entwicklungen auf dem Laufenden zu sein, nannten 56 Prozent der Jugendlichen "Aktuelles aus aller Welt", 46 Prozent "Mode/Klamotten" und 45 Prozent "Musik und Interpreten". Das Thema Internet kommt mit 40 Prozent auf den vierten Platz. Bei Jungen rangiert das Thema Internet auf dem zweiten Platz, bei Mädchen auf dem sechsten .

Alles in allem ist das Internet bei Jugendlichen auf dem Vormarsch. Während im Jahr 2000 nur 29 Prozent aller Jugendlichen mindestens mehrmals pro Woche online waren, sind es im Jahr 2001 bereits 41 Prozent. Das Versenden und Empfangen von Emails ist die häufigste Anwendung im Netz, das Suchen nach Informationen und das Chatten folgen mit deutlichem Abstand. Insgesamt zählen heute 63 Prozent der Jugendlichen zu den Internet-Erfahrenen, 57 Prozent waren es im Vorjahr. Auch die Gruppe der Computer-Nutzer generell ist mit nun 83 Prozent nur wenig angewachsen (2000: 81 Prozent).

4. Eigene Ergebnisse zu Persönlichkeitsmerkmalen und Computernutzung

Zur Frage der sozialen Auswirkung der Nutzung neuer Medien auf die Persönlichkeit des Users gibt es zur Zeit noch nicht viele psychologische Untersuchungen. In einer eigenen Untersuchung bei Studentinnen und Studenten in Düsseldorf und Köln im Jahre 1996 zum Zusammenhang von Persönlichkeitseinstellungen mit der Art der Nutzung des Computers konzentrierten wir uns auf psychologische Einstellungsvariablen, die für eine moderne Computernutzung relevant sind. Unsere Fragestellungen bezogen sich nicht nur auf Computernutzung allgemein, sondern auf das spezifische Problem, ob bestimmte Typen der Computernutzung mit besonderen Dimensionen der Persönlichkeit zusammenhängen. Die in den Faktorenanalysen ermittelten Typen der Computernutzung konnten in bezug auf Zusammenhänge der Computernutzung mit Persönlichkeitsmerkmalen daraufhin wie folgt beschrieben werden (vgl. Petzold, 2000):

1. Computer-Freak-Orientierungen finden sich häufiger bei männlichen Studenten höheren
Semesters. Sie weisen kaum Auffälligkeiten in Persönlichkeitsmerkmalen auf. Nur in bezug auf "Erregbarkeit" sind sie deutlich ruhiger, gelassener, selbstbeherrschter als der Rest der Untersuchungsgruppe.

2. Merkmale der Computer-Hasser hängen mit einer geringeren Lebenszufriedenheit (unzufrieden, bedrückt, negative Lebenseinstellung), mehr Gehemmtheit (gehemmt, unsicher, kontaktscheu), einer geringen Beanspruchbarkeit (angespannt, überfordert, sich oft "im Streß" fühlend), mehr körperlichen Beschwerden (viele Beschwerden, psychosomatisch gestört) und häufigeren Gesundheitssorgen (Furcht vor Erkrankungen, gesundheitsbewusst, sich schonend) zusammen. Allgemein ist auch ein Zusammenhang mit Emotionalität/Neurotizismus (emotional labil, empfindlich, ängstlich, viele Probleme und körperliche Beschwerden) deutlich festzustellen.

3. Unerfahrene Computernutzer sind eher weiblichen Geschlechts und zeichnen sich in ihren Persönlichkeitseigenschaften durch eine deutlich geringere Lebenszufriedenheit (unzufrieden, bedrückt, negative Lebenseinstellung), geringerer Leistungsorientierung (wenig leistungsorientiert, nicht aktiv schnell-handelnd, kaum ehrgeizig-konkurrierend), stärkerer Erregbarkeit (erregbar, empfindlich, unbeherrscht), mehr Aggressivität (aggressives Verhalten, spontan und reaktiv, sich durchsetzend), eine geringe Beanspruchbarkeit (angespannt, überfordert, sich oft "im Stress" fühlend), mehr körperlichen Beschwerden (viele Beschwerden, psycho-somatisch gestört) aus. Allgemein ist ebenfalls ein Zusammenhang mit Emotionalität/Neurotizismus (emotional labil, empfindlich, ängstlich, viele Probleme und körperliche Beschwerden) deutlich festzustellen.

4. Leistungsorientierte Computernutzer sind älteren Semesters. Persönlichkeitstypisch konnten Zusammenhänge mit geringer sozialer Orientierung (Eigenverantwortung in Notlagen betonend, selbstbezogen, unsolidarisch), stärkerer Leistungsorientierung (leistungsorientiert, aktiv schnell-handelnd, ehrgeizig-konkurrierend), starker Erregbarkeit (erregbar, empfindlich, unbeherrscht) und eine geringe Beanspruchbarkeit (angespannt, überfordert, sich oft "im Stress" fühlend), festgestellt werden.

Entgegen der Annahme, dass intensive Computernutzung zu Persönlichkeitsstörungen führt, konnten wir bei unserer studentischen Stichprobe feststellen, dass gerade die expliziten Computerhasser und die distanziert unerfahrenen Studentinnen/Studenten durch hohe Werte auf der zusammenfassenden Neurotizismus-Skala (emotional labil, empfindlich, ängstlich, viele Probleme und körperliche Beschwerden) auffallen. Bei beiden Typen hängt dies vermutlich mit den jeweils hohen Werten auf den Skalen geringer Lebenszufriedenheit, starkem Stresserleben und Gesundheitssorgen bzw. körperlichen Beschwerden zusammen (vgl. Petzold, 2000).

In ähnlicher Richtung konnte auch Scherer (1997) die häufig anzutreffende Hypothese nicht bestätigen, nach der sozial zurückgezogene, introvertierte und schüchterne Internetnutzer überproportional häufig unter den Internetsüchtigen zu finden sind - im Gegenteil. Ihre abhängigen Studenten schätzten sich als sozial kompetenter ein und nutzten das Internet häufiger als Kontaktmedium zum Aufbau neuer (offline) Bekanntschaften als nicht abhängige Studenten.

5. "Internet-Sucht" - eine allgemeine Gefahr?

1995 wurde von dem New Yorker Psychiater Ivan Goldberg scherzhaft "Internetsucht" als Scheindiagnose erfunden, wobei Goldberg heute einer der Kritiker des Konzepts der Internetsucht ist.  Anstelle der erwarteten belustigten Reaktionen von Kollegen erhielt Goldberg jedoch eine Vielzahl von e-mails von Personen, die davon betroffen waren. Schließlich wurde "Internetsucht" durch die New York Times im Dezember 1996 zum allgemeinen öffentlichen Thema. Seither haben international zahlreiche Psychologen das Thema aufgegriffen, z.B. Kimberly Young mit ihrem Buch "Caught in the Net" (1999).

Wer heute den Begriff "Sucht" benutzt,  dann wird häufig Bezug genommen auf die anerkannten medizinischen Definitionen (DSM IV). Dagegen wird in der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (ICD 10) nicht der Suchtbegriff verwendet, sondern der Begriff des Abhängigkeitssyndroms benutzt. In beiden Definitionen geht man gleichermaßen von einer substanzbezogenen  Abhängigkeit aus: "Als wesentliches Charakteristikum des Abhängigkeitssyndroms gilt ein aktueller Konsum oder ein starker Wunsch nach der psychotropen Substanz. Der innere Zwang, Substanzen zu konsumieren, wird meist dann bewusst, wenn versucht wird, den Konsum zu beenden oder zu kontrollieren" (vgl. Malchow et al. 1998). Bei der "Internetsucht" handelt es sich jedoch nicht um eine solche substanzbezogene Abhängigkeit. Daher weigern sich bis heute Krankenkassen und staatliche Organisation in Deutschland, Internetabhängige als pathologisch Kranke anzuerkennen. Dagegen gibt es zahlreiche Protestinitiativen, die sich für die Anerkennung der Internetabhängigkeit als Krankheit einsetzen.  Die deutsche Initiative "HSO" ("Hilfe zur Selbsthilfe für Onlinesüchtige e.V." - http://onlinesucht.de), wurde im Juni 1999 in Langenfeld (NRW) gegründet, stellte aber im April 2001 ihre Arbeit wegen mangelnder öffentlicher Anerkennung in Deutschland ein (vgl. auch Farke 1998, 1999).

Aus psychologischer Sicht orientiert sich eine angemessene Definition der Internetsucht heute an der anerkannten Glücksspielsucht (vgl. Petry 1996, 1998). Hahn und Jerusalem (2001) schlagen in diesem Sinne vor, Internetsucht als eine moderne Verhaltensstörung und eskalierte Normalverhaltensweise im Sinne eines exzessiven und auf ein Medium ausgerichteten Extremverhaltens zu verstehen. Klassifikatorisch könnte Internetsucht dann - wie von Griffiths (1995) vorgeschlagen - als spezifische Form technologischer Süchte eingeordnet werden, die durch Mensch-Maschine Interaktion gekennzeichnet sind (zu der dann beispielsweise auch Computerabhängigkeit oder Fernsehsucht zählen würde). Technologische Abhängigkeiten wären in dieser inhaltlichen Klassifikation selbst eine Unterkategorie verhaltensbezogener, stoffungebundener Abhängigkeiten.

In der Diagnostik der Spielsucht klassifiziert Young diejenigen Personen als internetabhängig, auf die im Jahresverlauf mindestens fünf von acht Kriterien zutreffen (z.B. starkes Eingenommensein vom Internet, Unfähigkeit zur Abstinenz, Toleranzentwicklung, Entzugssymptome). In ähnlicher Form haben Hahn und Jerusalem (2001) fünf Kriterien bestimmt, die für die Internetabhängigkeit gelten:
1.      Einengung des Verhaltensraums: Über längere Zeitspannen wird der größte Teil des Tageszeitbudgets zur Internetnutzung bzw. Computerwartung etc. verausgabt.
2.     Kontrollverlust: Die Kontrolle über die individuelle Internetnutzung geht weitgehend verloren und Versuche, die Nutzung zu reduzieren oder zu unterbrechen, bleiben erfolglos oder werden erst gar nicht unternommen.
3.     Toleranzentwicklung: Die "Verhaltensdosis" (d.h. die Zeit am Computer) zur Erreichung der angezielten positiven Stimmungslage wird ständig erhöht.
4.     Entzugserscheinungen: Beeinträchtigungen psychischer Befindlichkeit (Unruhe, Nervosität, Unzufriedenheit, Gereiztheit, Aggressivität) und psychisches Verlangen nach der Internetnutzung als Folge zeitweiliger, längerer Unterbrechung der Internetnutzung treten auf.
5.     negative soziale Konsequenzen:  In den eigenen Lebensbereichen Arbeit und Leistung sowie soziale Beziehungen kommt es zu erheblichen Problemen wegen der Internetaktivitäten (z.B. Ärger mit Freunden oder Arbeitgeber).

In der überhaupt ersten Studie zur Internetsucht befragte Young (1999) innerhalb von drei Monaten 496 Teilnehmer per Online-Fragebogen oder Offline-Telefoninterview, wobei sie zu dem erstaunlichen Ergebnis kam, dass 396 (= 79,8 %) aller Befragten  als internetsüchtig galten. Dies ist nur zu erklären durch eine selbstselektive Verzerrung der Stichprobe durch die überproportionale Beteiligung von vermeintlich Betroffenen. In der bisher größten Studie von Greenfield (1999) kam es zu keiner so starken Verzerrung, da die Teilnehmer auf der Hauptseite des reichweitenstarken, amerikanischen Nachrichtensenders ABC News um Teilnahme gebeten wurden. Binnen zweier Wochen beantworteten 17 251 Teilnehmer die Fragen Greenfields. Ähnlich wie Young legte auch Greenfield eine einfache Checkliste der Diagnostik zugrunde und identifizierte nur 990 (d.h. 5,7 Prozent) der - vornehmlich amerikanischen und kanadischen - Internetnutzer als internetsüchtig.

In Deutschland werden zur Zeit intensive Forschungen zum Problem der Internetanhängigkeit an der Humboldt-Universität in Berlin durchgeführt (vgl. Hahn & Jerusalem, 2001; http://www.internetsucht.de). In einer internetbasierten Online-Befragung beantworteten insgesamt 8 851 Personen einen Fragebogen der sich auf die o.a. fünf Kriterien stützte. Die Teilnehmer wurden per Aufruf in Tageszeitungen und Magazinen sowie im Rahmen von Radio- und TV-Interviews zur Teilnahme im Internet aufgefordert. Ausdrücklich wurde darauf hingewiesen, dass sich möglichst alle Internetnutzer angesprochen fühlen sollten, nicht nur solche, die vermeintlich zu viel Zeit mit Internetaktivitäten verbringen. Die  Ausschöpfungsquote dieser Gelegenheitsstichprobe ist für Online-Surveys mit 71,2% als sehr hoch zu bezeichnen.

Die ersten Ergebnisse von Hahn und Jerusalem (2001) für das Auftreten  von Internetsucht liegt noch unter den Werten von Greenfield (1999) .  Insgesamt erfüllten 3,2 % der Befragungsteilnehmer das formulierte normative Kriterium der Internetsucht. Diese Gruppe verbringt durchschnittlich 34,6 Stunden pro Woche online im Internet. Weitere 6,6 Prozent mit einer durchschnittlichen Onlinezeit von 28,6 Stunden pro Woche wurden als Risikogruppe klassifiziert. Die Gruppe der unauffälligen Internetnutzer nutzt das Internet nach eigenen Angaben durchschnittlich 7,6 Stunden pro Woche. Dabei gibt es erhebliche Unterschiede in Abhängigkeit vom Alter und Geschlecht der Teilnehmer.

Diese Berliner Ergebnisse bestätigen die Hypothese, dass Internetsucht vornehmlich als Jugendproblematik zu verstehen ist. So fällt die Rate der Internetabhängigen stetig von 10,3 % in der Gruppe der unter 15-jährigen auf 2,2 % in der Gruppe der 21- bis 29-jährigen. Gleichzeitig deuten sich differenzielle Geschlechtsunterschiede innerhalb der Altergruppen an. Bis zum Alter von 18 Jahren sind Jungen im Durchschnitt erheblich häufiger als Mädchen unter den Internetabhängigen auszumachen. Dieser Unterschied kehrt sich bereits ab dem Alter von 19 Jahren überraschend um. Mit zunehmenden Alter sind proportional zur Gesamtzahl der Internetsüchtigen in der jeweiligen Altersgruppe vermehrt Frauen betroffen.

Zu der Frage, ob die intensive Internetnutzung zu sozialer Isolation und Depression führt, liegen unterschiedliche Ergebnisse vor. In verschiedenen Studien wurde die Beobachtung festgehalten, dass aktive Internet-User auch im normalen Alltag in sozialen Kontakten aktiver sind (vgl. Döring 1999). Schon älter ist auch die Erkenntnis, dass intensive jugendliche Computer-Nutzer auch besonders sportlich engagiert (z.B. im Sportverein) sind  (vgl. Spanhel 1990, Petzold 2000).

Hahn und Jerusalem (2001) konnten zeigen, dass es deutliche Unterschiede in den Nutzungspräferenzen von Internetsüchtigen und unauffälligen Internetnutzern gibt. Wie vielfach in der Literatur diskutiert, nehmen Kommunikationssysteme wie Chats, Foren oder die Newsgroups den größten Raum des Nutzungsverhaltens von Internetsüchtigen ein. Relativ zur Gesamtnutzung des Internets entfällt ein Drittel aller Aktivitäten der Internetsüchtigen auf diese interaktiven Dienste. Bedeutsame Unterschiede im Nutzungsverhalten ergeben sich auch für die Nutzung von Musikangeboten, interaktiven Spieleplattformen (ohne Geldeinsatz) und Erotik-angeboten. Allerdings bestehen hier erhebliche Alters- und Geschlechtsunterschiede. So beschränken sich die Internetaktivtäten von internetsüchtigen Mädchen unter 20 Jahren fast ausschließlich auf die Nutzung von Chats, während Jungen heterogenere Präferenzen haben.

6. Chancen und Gefahren neue Medien

Es stehen uns mit der Entwicklung der neuen Medien schwierige Aufgaben bevor. Viele Eltern fragen sich, wie Probleme und Gefahren bewältigt werden können. Ich würde vier hauptsächliche Punkte nennen (vgl. Petzold 2000):

1. In Zeiten schwieriger Arbeitsbedingungen und Anforderungen an erhöhte Mobilität wird die Kinderbetreuung in manchen Familien oft zum Problem. Manche Eltern greifen sich dann Medien zur Unterstützung, quasi als Babysitter. Kinder dürfen länger Fernsehen, man kauft Ihnen ein neues Spiel für den Gameboy oder lässt sie am PC spielen. Viele Eltern haben dabei über das Medium selbst nur die geringsten Kenntnisse. Die Aufgabe der Erziehung und Unterstützung der Kinder beruht aber auf personaler Interaktion und bleibt eine menschliche pädagogische Aufgabe. Sie kann daher nicht von Medien übernommen werden.  Medien sollten daher nicht als Kinderbetreuungs-Ersatz benutzt werden.

2. Gerade das Handy scheint sich besonders gut dafür zu eignen, dass der Kontakt zwischen Eltern und Kindern/Jugendlichen wieder enger wird. Wenngleich ein Handy sehr praktisch ist zur  Absprache von Treffen und Terminen, sollte es doch nicht als Mittel der Kontrolle missbraucht werden. Gerade Jugendliche brauchen auch ihren eigenen Freiraum von der Erwachsenenwelt, den sie sich - wenn er ihnen nicht gewährt wird - selbst nehmen. Zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Eltern und Kindern kann daher auch das Internet nur beschränkt dienlich sein. Wichtiger ist die direkte personale Kommunikation, denn sie ermöglicht mehr emotionale Unterstützung.

3. Durch die neuen Medien werden Eltern wie Kindern/Jugendlichen neue Erfahrungsräume, ein riesiger Informationskosmos zugänglich. Dadurch verändert sich die Kindheit, die immer weniger ein von der Erwachsenenwelt abgeschlossener Raum ist. Dies kann eine Gefahr werden, kann aber auch als Chance begriffen werden, gemeinsam diese neue Welt zu erkunden. Eltern sollten daher ihre Kinder nicht mit den neuen Medien allein lassen. Es stellt sich daher als neue Aufgabe der familiären Erziehung, nicht allein, sondern gemeinsam - als Familie - die neuen Medien zu entdecken.

4. Die neuen Medien sind so vielfältig und verzweigt in ihren Möglichkeiten, dass eine sinnvolle Nutzung mit einem hohen Lernaufwand verbunden ist. Kinder haben naturgemäß ein höheres Lerntempo als Erwachsene, sie haben zudem den Vorteil, dass sie quasi von Beginn an mit dieser neuen Medienwelt aufwachsen. Manche Eltern fühlen sich dadurch bedroht, weil ihr Wissensmonopol nicht mehr gilt. Es wäre aber fruchtbarer, wenn Eltern dies als Chance für eine neue Beziehung zu ihren Kindern nutzen und als Eltern beginnen, von ihren Kindern zu lernen.

Wenn man die Chancen und Gefahren abwägt, dann muss noch einmal betont werden, dass Computer- und Video-Spiele bei den meisten Jugendlichen den Alltag nicht dominieren, sie sind jedoch ein integraler Bestandteil ihrer Lebenswelt geworden. Kinder wachsen heute mit Computern auf, lernen ihn schon im Vorschulalter kennen. Dies ermöglicht ein  frühes Lernen der Computer-Nutzung und ein Training senso-motorischer Fertigkeiten. Der Computer (oder auch ein Videospiel) kann auch zur Ausdauer- und Motivationsförderung nützlich sein. Es gibt jedoch auch negative Aspekte. Ausgedehnte Beschäftigung mit dem PC führt zu physischen Beeinträchtigungen (Augen, Körperhaltung, Gehirn). Wenn die soziale Situation der Familie in irgendeiner Weise gefährdet ist, dann kann eine intensive Computerbeschäftigung zur Realitätsflucht und Gewöhnung/Sucht werden. Die soziale Isolation entspringt jedoch nicht dem Gerät selbst oder den Interessen des Spielers. So haben in unserer Untersuchung Kinder die Frage "Spielst du gern allein?" zu 85,7% mit "Nein" und nur zu 14,3% mit "ja" beantwortet (vgl. Petzold 2000).

Die Nutzung von neuen Medien hat durchaus einen langfristigen psychologischen Effekt auf die einzelne Person, die sozialwissenschaftliche Forschung hat dazu gerade erst begonnen  (vgl. z.B. Hasebrook 1995, Döring 1999, Sülzle 2001). Neue Medien verändern die Persönlichkeit durch den für jeden Einzelnen möglichen unbegrenzten Zugriff auf Information, der aber nur mit hoher Kompetenz optimal genutzt werden kann. Die zahlreichen Multimedia-Angebote stimulieren persönliche Interessen und können neue Aspekte der Person prägen. Durch die kommunikativen Dienste des Internet können neue weltweite persönliche Beziehungen entstehen, die aber nicht automatisch zu einer weltweiten Verständigung führen. Die durch Medien vermittelte wachsende non-personale Kommunikation verändert die emotionale Beziehung zwischen den Menschen, die Gefahr oberflächlicher Kommunikation nimmt zu. Durch die neuen multimedialen Lernangebote kann viel mehr Wissen aufgenommen werden, aber die Qualität dieses Wissenserwerbs beruht nicht auf eigener Erfahrung. Durch die vielfachen Möglichkeiten der neuen Medien entsteht eine große Faszinationskraft, eine Internet-Abhängigkeit oder -Sucht kann jedoch nur auf dem Hintergrund problematischer Verhältnisse entstehen (vgl. Petzold 2001).

Auch das Leben in den Familien - in ihren unterschiedlichsten Formen - ändert sich durch neue Medien. Durch die Medien vermittelt wird eine neue Integration von Arbeit, Erziehung und Freizeit möglich. Die Generationenbeziehungen werden sich ändern, denn die Eltern lernen von ihren Kindern. Für die aufwachsende Generation bietet sich über das Internet ein bisher noch nie möglicher riesiger Erfahrungsraum. Durch diesen Zutritt zu der bisher den Erwachsenen vorbehaltenen Welt ändert  sich das Leben von Kindern grundlegend (vgl. Aufenanger 2001 ). Man kann sogar soweit gehen und annehmen, dass die Kindheit als geschützter Raum verschwindet. Durch die neuen Medien werden viele Beziehungen im Alltag aufrecht erhalten, insbesondere der tägliche Kontakt via Telefon oder Handy zu nahen Familienangehörigen (z.B. Oma). Aber mit der Zeit verändern sich solche nur über Medien vermittelte sozialen Bindungen, sie verlieren an emotionaler Nähe. Diese möglichen Probleme nehmen dann zu, wenn sich Familien aufgrund ihrer allgemeinen Lage schon in Schwierigkeiten befinden: Problem-Familien haben dann noch mehr Probleme.

Neben diesen Auswirkungen, die jeder Einzelne in der Familie spürt, kommt es auch auf gesellschaftlicher Ebene zu psychologischen Probleme mit neuen Medien. Durch die neuen Medien wird eine verstärkte soziale Kontrolle möglich, z.B. können Eltern über eine Webcam im Kindergarten ihre Sprösslinge beobachten. Das bedeutet letztlich einen Verlust von Privatheit. Die Unüberschaubarkeit und Einschränkungen im Internet können nur mit hoher Kompetenz gemeistert werden, die Unterschiede zwischen reich und arm wachsen aufgrund des Media-gap und werden - zumindest noch eine Zeit lang - zunehmen. Familien mit höherer Bildung nutzen neue Medien mehr und besser. Die wöchentliche Nutzung des Internet  zu Hause ist bei Familien mit Hauptschulabschluss von 2% 1997 auf 7% im Jahre 1999 gestiegen,  bei jenen mit Hochschulabschluss aber von 9% 1997 auf  19% im Jahre 1999.

Die neuen Medien stellen uns also vor große neue gesellschaftliche Aufgaben. In Bezug auf die Schule wird schon einiges getan. Die neuen Aufgaben der Medienerziehung für Eltern werden aber noch kaum benannt. Eine neue Initiative zur Medienkompetenzförderung von Eltern im Rahmen der Familienbildung und der Erziehungsberatung wäre dringend erforderlich (und ist in Nordrhein-Westfalen geplant).

Um diese genannten Aufgaben zu bewältigen, muss man sich klar werden, wie man Medienkompetenz fördern kann. Dabei geht es (nach Baacke, 1997) um vier verschiedene Bereiche: Medienkunde, Mediennutzung, Medienkritik und kreative Mediengestaltung:
a)     Medienkunde umfasst Kenntnisse über die Medien  (Wissen über die Vielfalt und Bedienung der Geräte);
b)     Mediennutzung kann entweder rezeptiv (TV- oder PC-Konsum) oder interaktiv (Computerspiele, Teleshopping) erfolgen;
c)     Medienkritik bezieht sich auf die Fähigkeit,  komplexe Zusammenhänge zu analysieren, zu bewerten und zu hinterfragen;
d)     Kreative Mediengestaltung bedeutet, Multimedia für sich selbst als Ausdrucksform zu nutzen (Videofilm, Internet-Homepage).

Mit Blick auf mögliche Aspekte präventiver medienpädagogischer Arbeit sollte zunächst bedacht werden, dass es sich nicht nur um eine Aufgabe der Medienkompetenzförderung sondern auch der Persönlichkeitsbildung handelt (vgl. Kipshagen & Petzold 1999). Dabei kommt der Aufgabe der Medienkritik und der Mediengestaltung sicherlich eine besonders wichtige Rolle zu. Es ist vermutlich motivationsfördernder, mit gefährdeten Jugendlichen neue Aspekte aktiver kreativer Arbeit und kritischer Reflexion zu entfalten als nur auf Einschränkungen und Verbote zu setzen.

7. Perspektiven für Präventionsarbeit

Aus der Psychologie des Jugendalters ist bekannt, dass das Jugendalter als eine Phase der Suche nach Identität und Persönlichkeitsentfaltung eine große Rolle für die individuelle Entwicklung spielt (vgl. Oerter & Montada, 1995 ). Hahn und Jerusalem (2001) erklären das Ergebnis, dass Internetsucht weit häufiger bei Jugendlichen zu beobachten ist, mit Bezug auf kognitive Erwartungshaltungen die sich gerade im Jugendalter entwickeln.  Man kann annehmen, dass dem Internet in dieser Phase des Übergangs vom Jugend- zum Erwachsenenalter eine funktionale Relevanz für die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben zukommen kann. Es kann auch festgestellt werden, dass Jugendliche im Internet ein Instrument entdeckt haben, das sie bei ihrer Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung unterstützt. Gerade die vielfältigen  Kommunikationsmöglichkeiten des Internet, wie auch in vielen Computerspielen, werden von Jugendlichen - mehr unbewusst als bewusst - genutzt, um neue Rollen gefahrlos zu testen und bisher unbekannte Aspekte der eigenen Identität zu entdecken (vgl. Turkle 1998).    

Es sind gerade die sozialpsychologischen Besonderheiten des Internet (vgl. Döring, 1999), die  es für Jugendliche besonders attraktiv macht. Das Internet bietet Jugendlichen mögliche Orientierungen in der für sie schwierigen Entwicklungsphase mit ihren körperlichen, psychischen und sozialen Unsicherheiten. Gerade die Anonymität und die häufig auf Text eingeschränkte Kommunikation bieten Jugendlichen in ihrer Unerfahrenheit einen geschützten Raum zum Experimentieren. Man kann z.B. im Chat einerseits schnell in synchroner Kommunikation mit anderen in Austausch treten, muss sich aber nicht mit der ganzen Person einbringen. Das ist für Jugendliche, die sich ihrer selbst (z.B. in der Wahrnehmung des eigenen Körpers, des Geschlechts usw.) noch unsicher sind, eine Chance, dennoch mit anderen in Kommunikation zu treten.  Die in Bezug auf die vielen Sinneskanäle beschränkte Kommunikation via Internet ist daher gerade für Jugendliche geradezu besonders attraktiv, wobei noch den Ausschlag gibt (z.B. im Vergleich zum früher bei Jugendlichen beliebten CB-Funk), dass die globale Vernutzung ein riesiges Potential von Ansprechpartnern  ermöglicht.

Auf dieser Kommunikationsschiene erfahren manche Jugendliche häufig auch mehr Anerkennung durch Gleichaltrige als in Face-To-Face-Interaktion, die zwar nur "virtuell" erfolgt, aber dann sehr bedeutsam wird, wenn entsprechende Anerkennung im Alltag fehlt.

Da eine der wichtigsten Entwicklungsaufgaben im Jugendalter die Ablösung vom Elternhaus ist, könnte nicht zuletzt auch das Internet  als Mittel zur Abgrenzung von der Erwachsenenwelt dienen.

Diese hohe subjektive Funktionalität des Internet könnte für einige Jugendliche dann zum Problem werden, wenn die Kompetenz, im Alltag die erprobten Rollen umzusetzen, aufgrund ungünstiger Sozialisationsbedingungen nur schlecht gelingt.  Wenn sich im familialen Kontext und weiteren Sozialisationsumfeld verschiedene negative Faktoren addieren, dann könnte angesichts von unbewältigten Entwicklungsaufgaben der Umgang mit dem Internet für einzelne Jugendliche zum Problem werden. Es wäre daher wünschenswert, wenn künftige Studien zur Internetabhängigkeit von Jugendlichen stärker die vielfachen Sozialisationsbedingungen unterschiedlicher Gruppen im Jugendalter berücksichtigen.

Die andere Seite der Präventionsarbeit muss die klassische sozialpädagogische Arbeit der Identitätsförderung von Jugendlichen neu entfalten. Internetabhängige Jugendliche werden sicherlich nicht durch das Medium selbst - im Sinne einer substanzgebundenen Sucht - sondern aufgrund ihrer individuellen Sozialisationsumgebung "süchtig". Sensibilität für die Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen und Angebote für neue Spiel- und Lernumgebungen (Rollenspiel, Theater) sowie die Förderung von Gruppenprozessen sind dann besonders gefragt. Eigene Erfahrungen aus der Arbeit in einem Internet-Cafe zeigen, dass dabei eine Doppelqualifikation für die Arbeit am Computer wie auch für die sozialpädagogische Gruppenarbeit erforderlich ist (vgl. Kipshagen & Petzold 1999).

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